Wer aus einem Albtraum erwacht, hat sich nachts gequält, aber am Morgen ist in aller Regel der Schrecken vorbei. Als Klaus W. im März dieses Jahres von seiner Sicherheitsfirma aus Köln ohne Begründung von der Arbeit freigestellt wurde, wachte er am nächsten Morgen zwar mit Sorgen um seine Familie auf, aber damals ahnte er noch nicht, dass sich sein Problem zum wahren Albtraum entwickeln würde und sich Woche für Woche noch steigern könnte.
Zunächst überwies die Firma kein Gehalt mehr und zahlte keine Sozialabgaben. Dann erfuhr der Meißener, dass es auch keine Sozialleistungen gibt, solange die Kündigung fehlt. Ein Riesenproblem für das Ehepaar mit ihren fünf noch daheim lebenden Kindern zwischen drei und 20 Jahren. Ihnen ging das Geld aus.
Inzwischen ist über ein halbes Jahr vergangen und das Schlimmste gerade erst überstanden. Klaus W. kann wieder frei atmen, die Angst ist weg, seine inzwischen wieder fröhlichen Kinder halten ihn weiter auf Trab. Seit August arbeitet er wieder im Sicherheitsdienst, jetzt im Elblandklinikum Meißen. Er kann seine Familie wieder ernähren, die Arbeitsstelle ist nicht weit entfernt von seiner Wohnung, er ist froh über das kollegiale und offene Klima im Krankenhaus. Aber vergessen kann er die Zeit seit Ende März noch lange nicht. „Da gibt es einiges aufzuarbeiten. Ich lass das nicht auf mir sitzen und ich will nicht, dass andere genauso unverschuldet in eine so verzweifelte Lage geraten.“ Vor allem deshalb will er mit der Zeitung reden.
Der Reihe nach: Klaus W. wurde vor 54 Jahren in Klipphausen zwischen Dresden und Meißen geboren und war nach der Schulzeit in den Wendejahren in der Landwirtschaft tätig, fuhr Traktoren. Nach der Wende übernahm die neu gegründete Agrargenossenschaft nur die älteren Mitarbeiter, die Jungen mussten gehen.
Klaus W. fing im Sicherheitsgewerbe an, absolvierte eine dreijährige Ausbildung als Wachschutz-Fachkraft. Danach ging er Streife in Unternehmen und begleitete Geldtransporte. Mit Schrecken erinnert er sich an einen Überfall der Zigarettenmafia auf ein Lagerhaus, bei dem ein Kollege schwer verletzt wurde.
Damals fuhr er auch als Sicherheitsfachmann Taxis im Liniendienst, so war das mal üblich. Dabei lernte er seine Frau kennen, die nach dem Dienst in einer Gaststätte in der Nacht sein Taxi nutzte. Die beiden verliebten sich, zogen zusammen in eine Wohnung in Meißen, bald wurde ihr erster Sohn geboren.
Klaus W. hatte inzwischen genug Erfahrungen in seiner Branche gesammelt und war angesehen. Also gründete er 2007 eine eigene Sicherheitsfirma, die bundesweit Aufträge annahm. Zwölf Jahre hielt er durch, dann sprangen mehrere Mitarbeiter ab wegen der ständigen Arbeitsplatzwechsel. Aber er hatte auch genug schlechte Erfahrungen gesammelt mit der Zahlungsmoral seiner Kunden. Den Höhepunkt dieser Entwicklung erlebte er, als ihm nach wochenlangem Einsatz in einer Münchner Firma beschieden wurde: „Wir zahlen sowieso nicht!“2019 fing er wieder in seiner alten Sicherheitsfirma in Meißen an und wurde vorwiegend in Dresdner Ämtern eingesetzt. Bis im Oktober 2022 dort der Sicherheitsdienst von einer Kölner Firma übernommen wurde und er auf diese Weise dort Mitarbeiter wurde.
Im Dezember 2023 bekam er heftige Rückenschmerzen und wurde bis März krankgeschrieben. Dann sollte – ärztlich verordnet – die Wiedereingliederung beginnen, zunächst mit vier Stunden am Tag. Normalerweise kein Problem. Die Antwort der Firma: sofortige Freistellung ohne Begründung. Er könne ja täglich von Meißen nach Bautzen pendeln. Herr W. lehnte ab. Wenig später fiel die erste Gehaltszahlung aus. Nachfragen waren zwecklos, die Firma hatte die Kommunikation eingestellt. Die Familie lebte vorerst von ihren Reserven und dem Kindergeld.
Es folgte die nächste Enttäuschung. Vom Arbeitsamt und vom Jobcenter, diese Einrichtungen hatte er bisher als Sicherheitsdienst beschützt, wurde er hin und hergeschickt und erhielt nur Ablehnungen. Ohne formale Kündigung gibt es kein Arbeitslosengeld. Aber eine Kündigung kam nicht aus Köln, auch monatelang kein Gehalt. „Ich halte das auch heute noch für Mobbing.“ Er suchte Rat, ging zur Gewerkschaft und nahm die Dienste eines Anwalts in Anspruch, erstattete Anzeige wegen Sozialbetrugs.
Unterdessen ging der Familie das Geld endgültig aus. „Wir mussten bei Nachbarn betteln gehen. Manche gaben uns etwas Geld, manche brachten Gemüse aus dem Garten. Manchmal konnten wir unseren Kindern auch mal eine Woche lang das Schulessen nicht bezahlen.“ Klaus W. war das peinlich. Er hatte immer gearbeitet, sie waren immer mit dem Geld ausgekommen. Aber im Sommer ging es nicht mehr anders. Sie mussten Schulden machen, sie mussten zum Vermieter gehen und um Mietstundung bitten. Sie mussten mit der Krankenkasse eine Vereinbarung treffen, damit die Familie weiter zum Arzt gehen konnte, es flossen ja keine Beiträge.
Und sie hatten keine Ahnung, wie sie auch noch die bis August angewachsenen Stromschulden bezahlen sollten. Aber Herr W. erhielt einen Tipp: Johannes Albrecht von der Diakonie in Meißen, schon in vielen Fällen der rettende Engel, könnte vielleicht einen Weg aufzeigen. Er wies den Weg zur Stiftung Lichtblick, die in Notfällen Soforthilfe leistet. „Und tatsächlich, zwei Wochen nach dem Antrag überwies Lichtblick dem Energieunternehmen direkt die volle Summe. Wir sind den SZ-Lesern sehr dankbar für ihre Spenden. Sie verhinderten, dass meiner Familie auch noch der Strom abgestellt wurde. Sobald ich wieder Geld verdiene und die dringendsten Schulden abbezahlt sind, werden wir für Lichtblick spenden.“
So konnte es aber nicht weitergehen. Die Belastung für die Familie war sehr hoch, er bekam gesundheitliche Probleme, zweimal musste der Notarzt kommen wegen Herzbeschwerden. „Ich habe nur noch zuhause gesessen und stand schwer unter Druck.“ Eine Entscheidung musste her.
Auf Anraten seines Anwalts wurde deshalb ein Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber vereinbart, um zunächst soziale Leistungen zu erhalten und dann den Weg zur Jobsuche freizubekommen. Dafür musste Klaus W. die bittere Pille schlucken, dass die Sicherheitsfirma in Köln statt der ausstehenden Gehälter zunächst nur einen bescheidenen Betrag zahlte.
Aber jetzt war die Zukunft wieder offen. Er schrieb mehrere Bewerbungen und erhielt umgehend Angebote. Er entschied sich für die Elblandkliniken, fing Anfang August dort an, ist zufrieden mit der neuen Arbeit und erhielt Ende August endlich das erste Geld seit März. „Jetzt kann ich mit den Kindern mal wieder raus aus der Stadt auf einen Spielplatz fahren und ihnen ein Eis spendieren. Es tat weh, sie so kurz halten zu müssen.“
Ausgestanden ist die Sache für ihn aber noch nicht. Zunächst will er einige Erfahrungen weitergeben: Er rät in solchen Fällen, nicht zu zögern und sofort einen Anwalt zu nehmen, seiner hat sich sogar um die Prozesskostenbeihilfe selbst gekümmert. Dann rechtzeitig mit allen reden, an die man regelmäßig Zahlungen zu leisten hat, Vermieter zum Beispiel. Und: Alles schriftlich machen, nie nur telefonische Vereinbarungen treffen.
Außerdem läuft seine Anzeige gegen die Kölner Firma weiter. Sie soll so nicht davonkommen. Das ist er sich und allen anderen, die in eine solche Lage kommen können, schuldig, meint er.
Während Klaus W. seine Geschichte erzählt, sind seine Kinder um ihn herumgetobt, die jüngsten haben beständig um seine Aufmerksamkeit gebuhlt. Er hat es stoisch hingenommen. Aber dann ist er ganz froh, dass das Gespräch und der Fototermin überstanden sind. Denn jetzt kann er an seinem freien Tag endlich die Kinder ins Auto laden und mit ihnen spielen gehen. „Für sie war es auch eine schwere Zeit, sie waren frustriert.“ Zum Glück ist dieser Albtraum vorbei. Auch dank Lichtblick.
Text: Olaf Kittel